Seit mehreren Wochen herrscht Stillstand in den britischen Werken von Jaguar Land Rover. Ein massiver Cyberangriff hat den traditionsreichen Autobauer lahmgelegt und die Krise auf zahlreiche Zulieferbetriebe ausgeweitet. Nun greift die britische Regierung ein – mit einem staatlich abgesicherten Kreditpaket. Doch dieser Rettungsversuch birgt erhebliche Risiken.
Bereits seit fünf Wochen ruht die Produktion bei Jaguar Land Rover (JLR). In der Nacht zum 1. September hatten Hacker die Systeme des Unternehmens angegriffen, woraufhin der Konzern den Betrieb in seinen drei britischen Fabriken in den West Midlands und in Merseyside bei Liverpool komplett einstellte.
Der geplante Neustart der Fertigung wurde seither mehrfach verschoben. Nun gibt es erste Hoffnung: Wie britische Medien berichten, sollen ab dem 6. Oktober zumindest Teile der Produktion wieder anlaufen. Bis die Kapazitäten jedoch wieder vollständig hergestellt sind, dürfte es noch Wochen dauern.
Regierung greift mit Milliardenhilfe ein
Für Erleichterung sorgt eine staatliche Kreditgarantie in Höhe von 1,5 Milliarden Pfund (1,7 Milliarden Euro). Wirtschaftsminister Peter Kyle erklärte dazu: „Jaguar Land Rover ist ein Symbol britischer Industrie, das Zehntausende Arbeitsplätze sichert. Mit der heutigen Entscheidung helfen wir, diese Jobs zu schützen, die Lieferkette zu stabilisieren und einen zentralen Teil der Automobilbranche abzusichern.“
Jaguar Land Rover, eine Tochtergesellschaft des indischen Tata-Konzerns, spielt eine Schlüsselrolle für die britische Wirtschaft. In Solihull, Wolverhampton und Halewood beschäftigt der Hersteller rund 30.000 Mitarbeiter. Hinzu kommen über 100.000 Arbeitsplätze in der Zulieferindustrie – viele davon bei kleineren Unternehmen, die fast ausschließlich von JLR abhängig sind. Einige dieser Firmen können mittlerweile keine Löhne mehr zahlen und stehen kurz vor der Insolvenz.
Kurswechsel der Regierung
Ursprünglich hatte Minister Kyle betont, dass ein profitabler Konzern wie JLR selbst in der Lage sein müsse, seine Lieferanten zu stützen. Doch im Laufe des Septembers kippte die Haltung. Verschiedene Rettungsszenarien wurden diskutiert, darunter auch die Idee, dass der Staat direkt Teile einkauft und später an JLR weiterverkauft.
Die nun zugesagte Finanzierung stammt von privaten Banken, wird jedoch durch die Exportkreditagentur UK Export Finance garantiert. Fällt JLR aus, übernimmt der Staat die Verluste – und verschafft dem Autobauer zugleich günstigere Konditionen. Zusätzlich gelang es dem Unternehmen, eine weitere Kreditlinie über zwei Milliarden Pfund bei Geschäftsbanken zu sichern, die als Liquiditätsreserve dienen soll.
Risiken und Kritik
Die staatliche Rückendeckung stößt auch auf Kritik. Labour-Abgeordneter Liam Byrne warnte vor den Gefahren eines sogenannten Moral Hazard. Damit ist gemeint, dass Unternehmen risikoreicher handeln, wenn sie sich durch staatliche Garantien abgesichert fühlen.
Auch Experten für Cybersicherheit äußern Bedenken. Jamie MacColl vom Royal United Services Institute (RUSI) wies darauf hin, dass die Hilfen ein Signal aussenden könnten, auf den Abschluss von Cyberversicherungen zu verzichten. Laut Fachmagazin The Insurer verfügte JLR tatsächlich über keinen solchen Schutz – Verhandlungen mit Versicherern liefen noch, als der Angriff geschah.
Hohe Verluste für JLR
Der Hackerangriff wird für Jaguar Land Rover teuer. David Bailey, Professor für Volkswirtschaft an der Universität Birmingham, beziffert die Umsatzeinbußen allein im September auf rund 2,2 Milliarden Pfund. Jeder Stillstandstag könnte den Gewinn um etwa 5 Millionen Pfund schmälern.
Besonders brisant: Der Angriff trifft JLR in einer Umbruchphase. Die Marke Jaguar soll neu positioniert werden und verzichtet künftig unter anderem auf die ikonische Katzenfigur, um ein jüngeres Publikum anzusprechen. Dafür wurde die Produktion in diesem Jahr komplett gestoppt. Parallel bereitet Land Rover die Umstellung auf eine vollelektrische Modellpalette bis Ende des Jahrzehnts vor.
Wie genau die Hacker vorgingen und auf welche Daten sie Zugriff hatten, ist bislang unklar. Fest steht jedoch: JLR ist nicht allein. In den vergangenen Monaten wurden mehrere große britische Unternehmen Opfer spektakulärer Cyberattacken. Besonders schwer traf es den Handelsriesen Marks & Spencer – ein Angriff, der Online-Bestellungen wochenlang unmöglich machte und rund 300 Millionen Pfund kostete. Auch die Ketten Coop und Harrods wurden Ziel von Cyberkriminellen.
Dieser Artikel entstand für das Wirtschaftskompetenzzentrum von WELT und Business Insider. Autorin: Claudia Wanner berichtet bei WELT vor allem über die britische Wirtschaft.